Manuelle Therapie Schulter, Arm und Hand
26 Jul 2017
Manuelle Therapie
Manuelle Therapie ist eine geschützte physiotherapeutische Behandlungsform, die von Physiotherapeuten und Ergotherapeuten durch eine spezielle Weiterbildung erworben wird. Maßgebliche Wegbereiter und Entwickler der heute gültigen Lehre waren der englische Arzt Dr. James Cyriax und sein Schüler Freddie Kaltenborn, der gemeinsam mit Olaf Evijenth das Kaltenborn-Evijenth-Konzept entwickelte. Systematische Untersuchung des Zusammenspieles der Gelenkstrukturen, der Muskeln und der beteiligten Nerven bilden dabei die Ausganslage zur Behandlung.
Die Manuelle Therapie im eigentlichen Sinn, die Heilbehandlung mit den Händen („hands on“), wirkt mittels verschiedener Techniken direkt auf den Stoffwechsel der Gewebe und Gewebebeschaffenheit. Sie wird zur Behandlung von Funktionsstörungen an Gelenken, Muskeln, Nerven und Bindegewebe eigesetzt.
Die MT Behandlung dient der Schmerzlinderung und der Mobilisierung. Zum Behandlungskonzept gehören im Weiteren physikalische Maßnahmen (heiße Rolle, Paraffinbad, Eisbehandlung), aktive Übungen und Wissensvermittlung sowie Beratung und Instruktion.
Die Anwendung der Manuellen Therapie begrenzt sich in unserer ergotherapeutischen Arbeit auf den Bereich der Oberen Extremität (Schulter, Arm, Hand).
Der Schmerz
Die Schmerzphysiologie unterscheidet zwischen dem akuten Schmerz (Rezeptorschmerz, Nozizeptorenschmerz) und dem zentralen Schmerz (neuropathischer, chronischer Schmerz).
Akute Schmerzen werden häufig infolge überhöhter Gewebespannung (durch Verletzung oder andere Bedingungen) ausgelöst. Bei übermäßiger Gewebespannung werden die so genannten Nozizeptoren aktiviert und Schmerzimpulse nach zentral zum Hinterhorn des Rückenmarks transportiert. Der Rezeptorschmerz ist aktiviert. Je größer die Schädigung ist, desto größer ist auch der akute Schmerz = proportional.
Beeinflusst werden akute Schmerzen zudem von Umweltfaktoren wie Stress, Fehlhaltungen, ungünstiger Arbeitshaltung, Überbelastungen im häuslichen Alltag etc. Akuter Schmerz kann sich zu Chronischem entwickeln.
Der Chronisch-neuropathische Schmerz kann entstehen durch Hypersensibilisierung(s.o.) des Nervensystems oder durch die Schädigung eines Nerven selbst (Axonläsion). Es genügen oft geringe Reize, also auch geringe interne Spannungen, um die Hypersensibilisierung aufrecht zu erhalten. Hierbei ist das Verhältnis zwischen Gewebespannung und Schmerz nicht proportional.
Dem chronischen Typ begegnen wir mit erhöhter Aufmerksamkeit für kleinste Fehlfunktionen, mit spezifischer Annäherung an hypersensibel eingestellte Zonen und mit Methoden des „hands off“ (Wissensvermittlung, aktive Übungen und weiteres, ohne Therapeutenkörperkontakt).
Die Bewegungsstörung
Eine Störung der Bewegungsfunktion, also eine Bewegungsstörung, muss nicht zwangsläufig schmerzhaft sein. Sie kann allerdings die Gewebespannung erhöhen und über die Reizung von Nozizeptoren zu Schmerz führen. Die Bewegungsstörung stellt sich als Übermaß oder Verringerung der Bewegung dar. Bei der Betrachtung der Funktion unterscheiden wir zwischen Bewegungsausmaß (Hypomobil/Hypermobil) und Bewegungskontrolle, also der Qualität der Bewegung. Häufige Begleitsymptome sind Ödeme (Schwellungen) und Atrophien (Muskelabbau). Dieser so genannten „Somatischen Dysfunktion“ (Kaltenborn) gilt das Hauptaugenmerk der Manuellen Therapie („hands on“). Das Auffinden der symptomauslösenden Dysfunktion und der Gewebeveränderung sowie deren Behandlung sind zielführend.
Gelenkmechanik (Arthrokinematik – Lehre von den Bewegungen der Gelenkflächen zueinander)
Beugen wir z.B. unseren Arm, so sehen wir von außen die rotatorische Bewegung. Innerhalb der Gelenkkapsel finden translatorische Bewegungen statt, ein Rollen und ein Gleiten der Gelenksspartner.
Hauptursache für viele Bewegungsstörungen ist (nach Kaltenborn) das eingeschränkte Gleiten der Gelenkflächen. Diese Einschränkung führt, durch Verlagerung der Drehachse, einerseits zu Kompression von Knorpelgewebe und andererseits zur Aufklaffung des Gelenkspaltes. Folglich kann Spannung erhöht sein die wiederum zu Gewebeschädigung und zum Rezeptorschmerz führen kann. Schmerz kann dabei ausgehen sowohl von gelenkigen Strukturen (Knorpel, Gelenkkapsel) wie von gelenkübergreifenden Strukturen (wie Bänder, Muskel, Nerven, Fasciengewebe).
Verschiedene Ursachen können verantwortlich sein für Einschränkungen des Gleitens der Gelenkflächen. In hypomobilen Gelenken (weniger Bewegung) herrscht erhöhter Gelenkdruck durch z.B. Muskelverspannungen, verkürzte Gelenkkapselanteile, aber auch durch Verklebungen und Verwachsungen, Knorpelschädigung und mehr. Bei hypermobilen Gelenken (zu viel Bewegung) hingegen führen Schwäche oder Versagen von Strukturen dazu, dass das Gleiten nicht adäquat eingeleitet wird und es zu Kompressionen und Aufklaffungen mit nozizeptiven, schmerzhaften Folgen kommen kann.
Die Untersuchung
Um die Behandlung zielgerichtet an die gestörten Orte lenken zu können, bedarf es einer differenzierten Untersuchung und Bewertung der Gelenkbeweglichkeit. Es wird unterschieden zwischen der Bewegung um eine Achse (rotatorisch) und der geradlinigen, internen (translatorischen) Gelenksbewegung, welche uns Aufschluss gibt über die Gelenksverfassung.
Gemeinsam mit auftretenden Symptomen bilden Bewegungsausmaß, Bewegungsqualität und das spürbare Endgefühl der rotatorischen und der translatorischen Bewegung wesentliche Beurteilungskriterien.
Die Behandlung bei Bewegungseinschränkung (Hypomobilität)
Die Mobilisation von verkürztem Bindegewebe (Gelenkkapsel) benötigt konstante Behandlung, idR über mehrere Wochen. Zur Erhaltung passiv mobilisierter Beweglichkeit sind aktive Bewegungen durch instruierte Eigenübungen von größter Wichtigkeit und in die Behandlung integriert.
Zur Behandlung von hypomobilen (steifen, eingeschränkten, kontrakten) Gelenken verwendet die Manuelle Therapie die translatorischen Gelenktechniken.
Translatorische Mobilisationstechniken (nach Kaltenborn und Evjenth) Gelenksbehandlung
Zum Einsatz kommen, neben den Händen des Behandlers, Behandlungskeile zur Unterlagerung und Gurte zur Fixation von Gelenkspartnern sowie als Lenk- und Zughilfe. Räumliche Orientierung für diese Techniken gibt stets die jeweils gelenkstypische Behandlungsebene (Kaltenborn).
Traktion (Zug):
Mittels geradlinigen Längszugs werden die Gelenkspartner, senkrecht zur Behandlungsebene, minimal voneinander entfernt. Die Traktion bewirkt eine Druckentlastung im Gelenk, regt den Stoffwechsel an und sie wird zur Dehnung des Kapsel-Band-Apparates eingesetzt.
Gleiten (Verschiebung):
Bei dieser Technik werden die Gelenkflächen parallel gegeneinander verschoben, wodurch das Gelenkspiel verbessert und der geschrumpfte Kapsel-Band-Apparat gedehnt wird.
Weichteiltechniken (nach Cyriax) zur Behandlung von Muskeln, Sehnen und Knochensehnenübergängen. Die Techniken bewirken Stoffwechsel- und Durchblutungsförderung, Schmerzreduzierung und Muskeldehnung.
Dynamische Längsdehnungen (mit rotatorischer Bewegung):
Aus der kürzesten Muskellänge heraus wird unter Tiefendruck in Richtung Muskelverlängerung über ein großes Gelenk bewegt
Quermassagen (Querdehnungen und Querfriktionen):
Mittels Tiefendruck führen wir eine sich wiederholenden (intermittierend) Querzug über die zu behandelnde Struktur (Muskel-Sehne-Ansatz). Zur Behandlung von entzündungsähnlichen Zuständen, eingelagerten Ödeme und Verklebungen der Gewebe.
Postisometrische-Relaxation (PIR)/ Anspannungs-Entspannungs-Dehnen (AED):
Der Muskel wird mit geringer Kraft in die eingeschränkte Bewegungsrichtung geführt. Von hier aus wird er ohne Bewegung aktiviert (isometrisch). Anschließend wird er entspannt und seine Ursprungs-Ansatz-Distanz vergrößert. Durch die kurzfristige Senkung der Muskelspannung nach Anspannung soll ein Bewegungsgewinn für das Gelenk entstehen.
Weitere Techniken und Maßnahmen:
Atemtechniken:
Im Rhythmus der Atmung und mit Konzentration auf die Atmung baut sich Muskelspannung auf und ab. Dabei dient die Entspannungsphase den mobilisierenden Techniken.
Physikalische Maßnahmen:
Paraffinbad, Heiße Rolle, Eisbehandlung –mehr–
Die Behandlung bei Bewegungsübermaß (Hypermobilität)
Bei Behandlung hypermobiler Gelenke sind verschiedene Interventionen wichtig:
– Vermeidung endgradiger Bewegungen
– Aktive Stabilisation durch Koordinations- und Krafttraining
– Passive Stabilisationshilfe (etwa durch eine Tapeanlage, eine Schiene, eine Schuheinlage…)
– Mobilisation von hypomobilen Nachbargelenken (siehe oben)